Die älteste Tischlerei in Malchow - Chronik des Familienbetriebes Musyal von 1832 - 2006
Aufgeschrieben von Gerd Musyal im Jahre 2006.
Als Johann Franz Wilhelm Musyal am 17.10.1797 als erstgeborener Sohn des Anton Michael Musyal in Breslau zur Welt kam, war keinesfalls abzusehen, dass er 1832 in Malchow sein Glück finden und sesshaft werden würde. Wie es in der Familie Tradition war, erlernte er das Stuhlmacherhandwerk und machte sich auf die übliche Wanderschaft, um seine handwerklichen Kenntnisse zu vervollkommnen.
Die Gründung
Der Geselle muss Malchow gerade zu der Zeit erreicht haben, als hier der Stuhlmachermeister Schaardt verstorben war. So heiratete er am 3.März 1832 die verwitwete Friedericia Maria Elisabeth Schaardt, geborene Madaus. Der junge Zuwanderer übernahm die Stuhlmacherei. Allerdings verstarb seine Frau 1845 nach dreizehnjähriger Ehe. Sie hinterließ ihm 4 Kinder. Noch im selben Jahr heiratete er wieder und zwar Emma Wilhelmine Emilie Spalding.
Die 2. Generation
Gustav Musyal, mein Großvater, wurde am 17.1.1846 als erstes Kind dieser zweiten Ehe geboren, wozu noch vier Geschwister kamen. Auch Gustav Musyal erlernte das Stuhlmacherhandwerk. Nach dem alten überlieferten Ein- und Ausschreibebuch der Tischler Innung Malchow von 1889 übernahm der Älteste nach Wanderschaft und Meisterprüfung am 16. Juni 1873 den Betrieb des Vaters. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass die Stuhlmacherei Schaardt / Musyal ab 1832 ihren Sitz in der Güstrower Straße hatte. Gustav Musyal kaufte am 3. Oktober 1888 von einem Herrn Louis Nölter in Malchow das Haus 267 – jetzt Mühlenstraße 18 – wo sich noch heute die Werkstatt befindet. In diesem Haus sollen vorher die Webstühle eines Tuchmachers gestanden haben.
Der Wandel
Etwa zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzte eine Veränderung der Ansprüche an das Bau- und Möbelhandwerk ein, was sich auf die Aufträge der Malchower Bürger übertrug. Schließlich hatte die erfolgreiche Entwicklung des Tuchmacherhandwerks Geld in die Stadt gebracht. Stuhlmacherei – eine für jede Wohnung notwendige Holzfertigung – bedeutete für den Handwerker sehr mühselige und zeitaufwändige Arbeit. Alle Teile eines Stuhls, die außerdem zu dieser Zeit verschnörkelt waren, mussten von Hand ausgesägt, gehobelt, geschnitzt und bearbeitet werden. Sogar die üblichen Tonkingrohr-Flechtereien in Sitz und Lehne wurden selbst hergestellt. Die Stuhlmacherei entsprach einer verfeinerten Tischlerei, bei welcher der Zeitaufwand in keinem Verhältnis zum Verdienst stand. Handwerker waren fleißige, rechtschaffene, aber arme Menschen. Trotzdem schauten sie voller Stolz auf ihrer Hände Werk und hielten den Berufsstand hoch.
Durch die einsetzende Bautätigkeit in Malchow erlangten die Anfertigung von Fenstern und Türen sowie der Möbelbau eine zunehmende Bedeutung für das Tischlerhandwerk. Im Jahre 1900 gab es in Malchow immerhin 19 Tischlereien, von denen allerdings der größte Teil Ein-Mann-Betriebe waren. Offensichtlich hatten alle ihr Auskommen. Die Tischler realisierten alle Kundenbestellungen selbst, sowohl Tische, Betten, Schränke, Fenster oder Türen als auch Särge. Obwohl mein Großvater an der Fertigung von Stühlen und Sesseln sowie am Gestellbau für gepolsterte Sitzmöbel festhielt, wurden zunehmend mehr Wohn-Möbel in seiner Werkstatt hergestellt Da es keine Maschinen zur Holzbearbeitung gab, bedeutete das Tischlern Schwerstarbeit. Jedes Tür- und Fensterrahmenholz oder Möbelteile mussten von Hand mit der Faustsäge ausgesägt und mit Schrubbhobel und Raubank bearbeitet werden.
Es ist heute nur zu bewundern, mit welcher Genauigkeit und mit wie viel Gespür für das Schöne unsere Vorfahren Möbel gefertigt, sogar Innenausbauten in Schlössern ausgeführt und ihre Erzeugnisse mit geschmackvollen Schnitzereien versehen haben. Zeit spielte damals wohl keine Rolle. Es gibt bei uns im Haus noch eine vom Großvater geschnitzte, aber unvollendete Krone in Mahagoni für den Spiegelrahmen einer damals modernen Spiegelkommode.
Die 3. Generation
Nach dem Tod des Großvaters im Oktober 1922 übernahmen mein Vater Robert und sein Bruder Gustav Musyal die Tischlerei. Sie hatten in Hamburg bzw. in Lübeck das Tischler-Handwerk erlernt. Die beiden Brüder arbeiteten gemeinsam und bildeten dabei nacheinander immer einen Lehrling aus, dessen Lehrzeit 4 Jahre dauerte.
Als erste Maschine schafften die Brüder 1928 eine Bandsäge an. Sie war mit einer Tischfräse kombiniert. Das bedeutete eine gewaltige Verbesserung und Erleichterung der Arbeite. 1932 kamen eine kombinierte Abricht- und Dickenhobelmaschine sowie wenig später eine Langloch-Bohrmaschine hinzu. Diese Maschinen ermöglichten die rationelle Fertigung von schönen und wertvollen Möbeln sowie von Fenstern und Türen mit wesentlich geringerer Körperkraft. Gerade die Hobelmaschine fehlte bis weit in die dreißiger Jahre hinein in vielen Tischlereien. So war es nicht ungewöhnlich, dass Handwerkskollegen in den Betrieb kamen, um gegen ein geringes Entgelt Bretter zu hobeln.
Der 2. Weltkrieg
Der 2. Weltkrieg brachte neue Bedingungen für das Handwerk mit sich. Robert Musyal, mein Vater, war altersbedingt nicht mehr wehrfähig. Onkel Gustav blieb auf Grund eines Herzleidens ebenfalls vom Wehrdienst verschont. Die jüngeren Tischler Malchows gingen zum Militär. So mussten die verbliebenen Betriebe die anfallende Arbeit allein bewältigen. Durch den Bau des Dynamitwerkes wurden die Betriebe vermehrt verpflichtet, für die Rüstungsbetriebe Aufträge auszuführen. Unsere Tischlerei arbeitete hauptsächlich für die Tuchfabrik Blank, die Uniformstoffe herstellte sowie für das Dynamitwerk bzw. für die dazugehörigen Werkswohnungen. Zeit und Material zur Produktion von hochwertigen Möbeln und Bauelementen wurden in der Kriegszeit zunehmend knapp. Trotzdem stellte mein Vater noch hochwertige, von Hand polierte Möbel in kaukasischem Nussbaum, her.
Die Kapitulation
1945, nach der Kapitulation Hitler-Deutschlands, verschlechterte sich die Materialbelieferung für das Tischlerhandwerk weiter. Zum Glück gab es in Malchow 2 Sägereien, so dass zumindest der Rohstoff Holz, wenn auch in schlechter Qualität, vorhanden war. Die Flüchtlingsströme aus dem Osten führten vermehrt Menschen nach Malchow. Der große Bedarf an Möbeln lastete die Tischlereien völlig aus. Trotz aller Schwierigkeiten in der Materialbeschaffung stellte unser Betrieb in Kleinserien massive Kiefernholzmöbel für Wohnräume, Schlafzimmer und Küchen her. Im September 1947 begann ich eine dreijährige Tischlerlehre bei meinem Vater. Eigentlich war ein Lehrmeister in Rostock ausgewählt worden, aber aus Gründen der Lebensmittelknappheit blieb ich zu Hause. 1950 legte ich die Gesellenprüfung ab. Als Gesellenstück baute ich einen in Eiche furnierten Schreibtisch, dunkel gebeizt, mit in Nussbaum polierten runden Türecken. Dieser Schreibtisch tut noch heute seinen Dienst in meinem Arbeitszimmer.
Der Schicksalsschlag
Das Jahr 1952 wurde für unsere Familie zu einem Schicksalsjahr. Im März verhaftete der Staatssicherheitsdienst in Rostock über Nacht meinen älteren Bruder. Er war wie vom Erdboden verschwunden. Es gab weder eine Benachrichtigung, noch eine Anklageinformation. Erst nach eineinhalb Jahren erhielten wir ein erstes Lebenszeichen, nämlich Kriegsgefangenenpost – postlagernd aus Moskau. Wie wir durch das Internationale Rote Kreuz in Erfahrung brachten, war mein Bruder nach Sibirien deportiert und von einem sowjetischen Militärgericht zu 25 Jahren Zwangsarbeit wegen "Antisowjetischer Propaganda" verurteilt worden. Im November des Jahres starb plötzlich mein Onkel. Er war per Fahrrad nach Zislow unterwegs gewesen, um die Maße für einen Bauauftrag zu holen. Er kam am Abend nicht zurück. Erst am nächsten Morgen wurde Onkel Gustav zwischen Biestorf und dem Lenz tot neben seinem Fahrrad liegend aufgefunden. Zu der Zeit war mein Vater schon unheilbar an Krebs erkrankt. Er folgte seinem Bruder 10 Tage später in den Tod.
Die 4. Generation
Für mich, damals 20 Jahre alt, begann eine schwere Zeit. Plötzlich stand ich allein mit einem Gesellen in der Tischlerei. Von Buchführung usw. hatte ich keine Ahnung. Meine Mutter besaß ebenso wie meine Tante keine Kenntnisse über die Geschäftsführung. Das hatten die beiden Brüder immer allein erledigt, was sich im Nachhinein als großer Fehler erwies.
Irgendwie habe ich es mit Hilfe meiner Mutter geschafft, die Tischlerei weiter zu betreiben. Es gab damals schon die Regelung in der Handwerksordnung, den Witwen die Weiterführung des Betriebes zu erlauben. Mit einer Ausnahmegenehmigung wurde ich vorzeitig zur Meisterprüfung und zu den entsprechenden Lehrgängen zugelassen. Die Handwerksordnung forderte damals 5 Gesellenjahre bis zur Zulassung. Am 10.06.1955 legte ich in Neubrandenburg die Meisterprüfung im Tischlerhandwerk ab und durfte den Betrieb meiner Vorfahren offiziell übernehmen. Mit 23 Jahren wurde ich somit der jüngste Handwerksmeister des Bezirkes Neubrandenburg.
Die Anfangsjahre in der DDR
Für die örtliche Wirtschaft herrschten schwierige Bedingungen. Arbeit gab es genug. Es mangelte jedoch an Ausrüstungen, Werkzeugen und Materialien. Am 9. August 1950 verabschiedete die Volkskammer das "Gesetz zur Förderung des Handwerks". Das brachte gewisse Erleichterungen in der Betriebsführung mit sich, vereinfachte z.B. Buchführung, Pauschalsteuerveranlagung und anderes. Aus der materiellen Situation heraus ergab sich relativ früh eine Spezialisierung der Tischlereien in Malchow. Wie alle Kollegen, wurde ich bis 1965 verpflichtet, das Konsumgütermöbel-Programm mit anzukurbeln. So mussten serienmäßig für den Handel Radioschränke und Fernsehschränke sowie ähnliche Möbel gebaut werden. Trotzdem spezialisierte ich den Betrieb mehr und mehr auf die Bautischlerei. Damit gehörte ich 1974 in dem damaligen Wirtschaftssystem automatisch zum Bauwesen. Mein Betrieb wurde somit als einzige private Tischlerei im Kreis Waren vom Kreisbauamt beplant. Als Kooperationspartner wurden mir in Malchow der Baubetrieb "Karl Schmidt KG" und in Waren der "VEB Bau Waren" zugewiesen. Darüber hinaus fertigte mein Unternehmen, soweit unsere Planauflagen das zuließen, Fenster und Türen sowie später Treppen für den Eigenheimbau. Daneben führten wir Reparaturen für die Bevölkerung und die örtlichen Industriebetriebe aus.
Ich arbeitete in der Produktion voll mit, beschäftigte 2 - 3 Gesellen und bildete mehrere Lehrlinge aus. Einer Ausbildung im privaten Handwerk wurde nur in sehr beschränktem Umfange zugestimmt. Es gab Jahre, da bekamen die 23 Betriebe des Tischlerhandwerkes im Kreis Waren nur 3 bis 5 Lehrlinge zugewiesen. Der größte Teil der Schulabgänger nahm eine Lehre in der Landwirtschaft auf.
Das Kreisbauamt war also mein Bilanzorgan und ordnete mir am Anfang des Jahres das Plan-soll mit konkreten Objekten zu. Zugleich wurden die Materialkontingente zugeteilt, in der Hauptsache natürlich Holz. Für 1000 Mark Fenster- und Türenproduktion bekam ich 1 m³ Holz. Unsere Holzzuteilung erhielten wir nur direkt von den Sägewerken, frisch gefällt, geschnitten und nass. Jeder Tischler hatte bis 1990 einen eigenen Stapelplatz, um sein Holz an der Luft zu trocknen Mein Stapelplatz befand sich auf dem Gelände des heutigen "Penny-Marktes".
In den Jahren 1955 bis 1970 steigerte sich mein Plansoll langsam bis auf 85.000,00 M. In die-ser Zeit verbesserte ich - trotz immer länger werdender Wartezeiten auf eine Kaufberechtigung für Holzbearbeitungsmaschinen - meinen Maschinenpark. Der Maschinenraum wurde erweitert und der Bankraum umgebaut. Das System der festen Preise in der DDR ließ allerdings keine erheblichen Produktionssteige-rungen zu. Die Knappheit von Beschlägen für Fenster und Türen sowie von Zubehör, wie Schrauben, Nägel, Leim usw. bildeten weitere Hemmnisse. So gab es z.B. in einem Jahr nur Beschläge für links angeschlagene Fenster, im anderen nur für rechte. Trotzdem konnte die Produktion von 1971 (87.000 M) bis 1989 auf 134.000 M pro Jahr gesteigert werden. Das war Planübererfüllung. Dafür gab es Auszeichnungen und Prämien. Als Kooperationspartner der Baufirma Schmidt überholte mein Betrieb in Malchow ganze Straßenzüge, die Schulen, zur 750 Jahrfeier das Rathaus, usw. Wir bauten alle Fenster und Türen dafür. Gemeinsam mit dem VEB Bau Waren sanierte ich u.a. das Kreiskrankenhaus Waren, die Lange Straße in Waren und andere Objekte. Erwähnen muss ich, dass dem privaten Handwerk, so auch meinem Betrieb, im politischen Programm der DDR nur ein Übergangsdasein zugebilligt worden war. Schon 1958 setzte po-litischer Druck auf das Handwerk ein. Es sollten PGHs, sprich Produktionsgenossenschaften des Handwerks, gebildet werden. Unter diesem Druck wurden sie letztendlich auch Realität.
Die Zeit vor der Wende
So wie 1960 die Landwirtschaft sozialisiert und die Bauern in Produktionsgenossenschaften gepresst wurden, sollte das Handwerk von individueller Herstellung zu Genossenschaftsarbeit gedrängt werden. Alle Handwerksmeister wurden im Rathaus vorgeladen. Einladungsgrund: „Persönliche Aussprache“. Die Einladungskarte vom 16.03.1960, mit der Unterschrift von Bürgermeister Peters, ist noch in meinem Besitz. Am 21.03.1960 um 16.30 Uhr wurde ich in einer Art Verhör vom Bürgermeister, dem Stadtrat Stolle und einem Herrn Pölkow stasiartig unter Druck gesetzt. Sie wollten mich zur Bildung einer Genossenschaft und zur Mitgliedschaft darin erpressen. Ich habe dem Ansinnen widerstanden. In vielen Städten kam es zu diesen Vereinigungen. Die Tischlermeister Malchows konnten sich mit Erfolg dagegen wehren. Zum Glück hatten Partei und Regierung mit der Sozialisierung der Landwirtschaft so viele Probleme, dass die Durchsetzung der Genossenschaftsbildung im Handwerk erst einmal zurückgestellt wurde. Der Druck auf das Handwerk setzte sich über die sechziger bis in die siebziger Jahre fort. Es gab kaum Neuzulassungen von Handwerkern. Wir bekamen keine Lehrlinge mehr.
Diese Situation ist der Grund dafür, dass die fast 150 jährige Tradition der Musyals, dem Sohn die Ausübung des Tischlerhandwerkes zu übergeben, nicht mehr fortgeführt wurde. Ich war dagegen, dass mein Sohn Bernd 1974, als er die Schule verließ, Tischler wurde. Ihm sollte der Druck erspart bleiben, unter dem ich seit 1955 stand. Er sollte nicht ständig die Gefahr vor Augen haben, die Selbständigkeit als Handwerker zu verlieren und sozialisiert zu werden. Es war ja nicht einmal sicher, ob er diese Selbständigkeit überhaupt erreichen würde. So studierte mein Sohn Pädagogik. Durch die Wiedervereinigung hat sich meine Entscheidung als falsch erwiesen, aber damit konnte 1974 niemand rechnen. Inzwischen hat mein Enkelsohn Pierre die Tischlerlehre im Jahre 2004 erfolgreich beendet. Er leistet zur Zeit seinen Wehrdienst ab. Welchen Weg er danach einschlagen wird, ist noch nicht abzusehen.
Die Wiedervereinigung
Mit der Wiedervereinigung brach für das Handwerk eine neue Zeit an. Kein Handwerker wusste, wie es weitergehen würde. Die vollkommen andere Wirtschaftsform, Preiskonkurrenz mit Ausschreibungen und Angeboten, stellte uns vor große Probleme. Nahmen wir anfänglich noch an, dass wir keine Arbeit mehr haben würden, lief die Tischlerarbeit zunächst in den alten Strukturen gut weiter. Als Vorteil erwiesen sich die erheblichen Holzbestände, die fast alle Tischler im Laufe der Jahre angesammelt hatten. In meinen Lagern befanden sich zu der Zeit durch die besondere Art der DDR Planwirtschaft an die 200 m³ Schnittholz. Von dieser Substanz lebte ich mit meiner Tischlerei in der Übergangsphase.
Mehr und mehr drängten unsere westlichen Kollegen mit Kunststofffenstern, Türen und Fertigbauelementen aus Holz in die neuen Bundesländer. Vor allem die Möbelmärkte etablierten sich. Das alles führte dazu, dass sich fast schlagartig die Werkstattarbeit reduzierte. Es gab keine Wartezeiten mehr für den Kunden. So wurde unsere Tischlerei sehr bald ein Montagebetrieb. Eine Nische allerdings florierte nach wie vor, das war der Treppenbau. Den hatte ich seit etwa 1980 durch einen Zimmererpolier, der dann als Rentner bei mir Treppen baute, mehr und mehr eingeführt.
Bis 1992 hatte ich mich auf die neue Situation eingestellt und beschäftigte 6 Gesellen. Der mit der Jagd nach Aufträgen und Kostenangeboten verbundene Stress führte jedoch dazu, dass ich große Probleme mit meinem linken Knie bekam. Ich hatte es mir bei einem Sportunfall im Jahr 1979 so stark verletzt, dass ich schon 1980 Teilinvalide wurde. Der Gedanke, in Vorruhestand zu gehen, wurde aktuell, als im Jahre 1992 für Handwerker eine gesonderte, aber auch zeitlich begrenzte, Vorruhestandregelung in Kraft gesetzt wurde. Ich entschied mich, hiervon Gebrauch zu machen. Über die Handwerkskammer Flensburg, damaliger Partner der Kammer Neubrandenburg, suchte ich einen Nachfolger.
Am 1. Mai 1992 übernahm der junge Tischlermeister Hans-Jens Dau-Schmidt meinen Betrieb. Ich unterstützte ihn, indem ich in meiner Werkstatt, in der nur noch Treppen gebaut wurden, die Aufsicht führte. Da Herrn Dau-Schmidt auf Dauer meine Werkstatt zu klein erschien, baute er in Waren im Gewerbegebiet eine neue Tischlerei auf, die er von 1993 an parallel zu meiner Werkstatt betrieb.
Im Dezember 1997 beendete er den Pachtvertrag mit mir. Die beiden Gesellen, die bis dahin in dem Teilbetrieb in Malchow gearbeitet hatten, gingen mit nach Waren.
Die aktuelle Situation
Im April 1998 erwarb ich erneut eine Gewerbegenehmigung und führe von da an als Rentner den Betrieb als Einmann-Unternehmen weiter.
Zum Abschluss möchte ich noch ein paar Worte zu meinem eigenen Werdegang sagen, denn ich bin der Letzte in der Kette der über 170jährigen Geschichte der selbstständigen Tischlerfamilie Musyal in Malchow. Wie mein Großvater Gustav Musyal, der von 1880 bis 1893 Obermeister der Tischlerinnung Malchow war, wurde ich 1978 durch die Handwerkskammer Neubrandenburg zum Obermeister der Berufsgruppe Tischler des Kreises Waren berufen. Nach der Wiedervereinigung wurde ich dann 1990 in geheimer Wahl zum Obermeister der Tischlerinnung Waren gewählt, sowie auch zum stellvertretenden Kreishandwerksmeister der Kreishandwerkerschaft Waren, die sich über die damaligen Kreise Teterow, Malchin, Röbel und Waren erstreckte. Nach der Kreisgebietsreform im Jahre 1995 fusionierten die Tischlerinnung und die Kreishandwerkerschaft des Kreises Waren mit denen des Kreises Demmin. Bei der dadurch erforderlich werdenden Neuwahl wurde ich wieder zum Obermeister gewählt, der ich bis heute bin. Von 1990 bis 2002 gehörte ich als gewähltes Mitglied der Vollversammlung der Handwerkskammer Neubrandenburg, später Ost-Mecklenburg-Vorpommern, an.
Seit Gründung des Landesinnungsverbandes des Tischlerhandwerks Mecklenburg-Vorpom-mern im Jahr 1992 war ich ehrenamtlich als stellvertretender Landesinnungsmeister und von 1996 bis 1998 als amtierender Landesinnungsmeister tätig. Von 1992 bis 2004 war ich öffent-lich bestellter und vereidigter Sachverständiger für das Tischlerhandwerk und Vorsitzender des Gutachterausschusses des Landesinnungsverbandes von Mecklenburg-Vorpommern. 1998 wurde ich zum Ehrenvorsitzenden des Landesverbandes des Tischlerhandwerks Mecklenburg-Vorpommern gewählt.
(c) Gerd Musyal im Sommer 2006